1. 2. 1873
Brief an August Klughardt
ID: A02336
Absender: | Joachim
Raff (C00695)
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Erstellungsort: | Wiesbaden |
Empfänger: | August
Klughardt (C00471)
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Datierung: | Februar 1873 (Quelle) |
Standort: | Robert-Schumann-Haus (Zwickau) |
Signatur: | Sch. Mus 8330,1 |
Umfang: | 4 Seiten |
Material: | Papier |
Schreibmittel: | schwarze Tinte |
Veröffentlichung: | Eggenschwiler 2022 |
Habe Brief, Partitur und Stimmen [von der Sinfonie «Lenore» des E.s] aus Dessau erhalten. Empfiehlt dem E., sich wegen der Aufführung in Wiesbaden nicht an die Königliche, sondern an die städtische Kapelle zu wenden. Habe sich bereits an Müller-Berghaus gewendet, der zugesagt habe, die Symphonie aufzuführen. Habe die «Lenore» schon seit Jahren im Kopf. Im Frühjahr sei das Ganze «so ziemlich aufgeschrieben» gewesen. Hätte aber damit gezögert, es für die Öffentlichkeit fertigzustellen, wenn er nicht durch eine Rezension der «Waldsinfonie» im Mailänder Pungolo zur Fertigstellung veranlasst worden wäre, die am 22. April erschienen ist und den Schlusssatz auf die Ballade von Bürger bezieht. Wollte zeigen, dass er sich «diese» Sache doch wieder ganz anders vorstellte. Der E. solle sich wegen des Werkes des A.s keine Sorgen machen: «Wie viele Hamlete existieren? Wie viel Fauste?» Trete den hiesigen Platz dem E. ab.
Werthester Herr Hofkapellmeister!
Ihren Brief, und einige Tage nachher Ihre Partitur u. Stimmen aus Dessau habe ich richtig empfangen.
Die königl. Kapelle hat nur noch 2 Concerte, deren Programm, soweit mir bekannt, bereits feststeht. Ausserdem würden mich triftige Gründe, welche mich bestimmt haben dies Jahr der königl. Kapelle kein eigenes Werk zur Aufführung zu geben, wohl auch abhalten, einen Antrag betreff der Ihrigen zu stellen.
Sollten Sie ebenwohl darauf bestehen, daß Ihr Werk von der Königl. Kapelle gegeben werde, so will ich gern die nöthigen Schritte thun, muß aber bezweifeln, ob dieselbe zu einem günstigen Resultate führen.
Inzwischen habe ich mich an den Kapellmeister der städtischen Kapelle, Herrn Müller-Berghaus gewandt, und von demselben die Zusage empfangen, daß er die Symphonie in einem seiner Concerte bringen will; ich werde dafür sorgen, daß dies bald geschehe.
Die Concerte der königl. Kapelle finden allerdings im Theater statt und mit einem stark besetzten Orchester. In sofern möchte ich Ihnen wohl wünschen, daß Sie Ihr Werk dort hören. Sie hätten aber den Nachtheil, daß Ihre Symphonie einmal gemacht, und auf lange ad acta gelegt würde.
Die Müllersche Capelle dagegen spielt in unserm prächtigen Cursaal; sie ist zwar klein, hat aber bessere Bläser als die königliche, und wird von Müller-Berghaus trefflich gehandhabt. Das Publicum ist ebenso stark als im Theater, und die Symphonie bleibt auf dem Repertoir.
Haben Sie die Güte mir umgehend zu schreiben, ob Ihnen mein Vorschlag convenirt oder nicht, damit ich weiß, was ich zu thun habe.
«Lenore» liegt mir schon seit Jahren in Kopf und Magen, auch war im Frühjahr das Ganze so ziemlich aufgeschrieben; doch hätte ich noch gezögert, es für die Oeffentlichkeit fertig zu stellen, wenn ich nicht durch eine Recension meiner «Waldsinfonie» im Mailänder «Pungolo» dazu veranlaßt worden wäre. Sie erschien am 22. April, und enthält gelegentlich der Besprechung des letzten Satzes folgenden Paßus.
Senti lo scalpitare dei fantastici cavalli, così che il famoso
Hopp! Hopp! Hopp! col vento in Groppa
Tutta notte si galoppa;
Arde il suol, sbuffano ansanti
E cavalli e cavalcanti
della legenda tedesca* non ebbe mai più potente e più spaventosa interpretazione. & c.
Es schien mir gelegen, zu zeigen, daß ich mir diese Sache doch wieder ganz anders vorstellte.
Lassen Sie sich meines Werkes wegen keine grauen Haare wachsen. Wie viele Hamlete existiren nicht? Wie viel Fauste?
Den hiesigen Platz trete ich Ihnen für Aufführung Ihrer «Lenore» jetzt schon ab, wenn Sie darauf reflectiren. Für heute leben Sie wohl! Es grüßt Sie
Ihr ergebener
Joachim Raff
Wiesbaden
1. Februar 73.
* Leonora di Buerger