Raff wollte Kistner bei einem flüchtigen Besuch in Leipzig
besuchen, doch das Lokal war bereits geschlossen. Er habe zu sagen, dass er ihm
gegenüber nicht empfindlicher oder weniger empfindlich sei als anderen gegenüber. Er
sei gegen alles empfindlich, das sich ihm in den Weg stelle und werde es auch immer
aussprechen. Kistner wolle seine Handlungsweise nicht aus der Vergangenheit, sondern
aus der Gegenwart rechtfertigen. Er habe von ihm aber keine Rechtfertigung verlangt.
Es komme ihm auf das was, nicht auf das warum an. Er wolle nun über die Vergangenheit
sprechen: Kistner habe seit 1845 drei Originalstücke von ihm veröffentlicht: op. 23,
op. 27, op. 40. Für diese ist er verantwortlich, weil die Erfindung darin von ihm
sei. Kistner sage ihm, dass sie "nicht gegangen seyen". Er sei für diese Mitteilung
dankbar, weil es nützlich sei, "zu wissen, wie man mit der Welt gestanden hat". Raff
wollte glauben, dass diese drei Werke am meisten Verbreitung gefunden haben. Zudem
habe er die Paraphrase eines Liszt'schen Liedes veröffentlicht wohl op. 39] und eine Anzahl Stücke über Kückens "Prätendenten" op. 42. Schiebt
den schlechten Erfolg letzterer auf den geringen Erfolg der Oper ab. Bedankt sich
für den Rat, für das Publikum eine Pause einzulegen, wolle diesen aber nicht
befolgen. Er habe bereits eine Pause von vier Jahren gemacht. Er habe in dieser
Zeit seine "Ausbildung zu vollenden gesucht" und den "momentanen Triumph so
manches Mediokren in Leipzig u. anderwärts" angesehen. Er lässt sich nicht davon
abhalten, den Weg zu "Augen und Ohren" des Publikums zu finden. Nun von der
Gegenwart: In wenigen Wochen werde er dreissig Jahre alt. In den nächsten zwanzig
Jahren wolle er neue "Wirkungstiefen" und "musicalische Publicität" erreichen. Er
habe in letzter Zeit redlich gewirkt und eine Reihe von Werken hergestellt, die
ihm einen Ruf garantieren. Er wolle ihm nicht den Totalverlag dieser Werke
antragen, weil das für ihn unklug sei. Wollte nur eine gelegentliche Beteiligung
Kistners. Dass ihm diese abgeschlagen würde, war ihm zu bitter vorauszusehen. Das
Glück kam andererorts: "Frühlingsboten" op. 55, gewidmet Robert Franz, wurden von
Herrn Böhme bei Peters angenommen [erscheint aber bei Heinrichshofen]. Ein
grösseres Duo (Joachim gewidmet) op. 57 und zwei Nocturnen op. 58 (darunter
dasjenige, das Kistner abgelehnt hat, Ferdinand David gewidmet), erscheinen bei
Haslinger in Wien [stimmt nicht: bei Bachmann, bzw. Heinrichshofen]. Ein grösseres
Duo (Cossmann gewidmet) op. 59 und zwei Nocturnen für Cello und Klavier op.
86????], Herr von Ziegesar gewidmet, bei Diabelli in Wien, auf Vermittlung von
Haslinger [op. 59 erschien bei Nagel 1855]. Das Trio [WoO 9] erscheine bei Peters
[wurde nicht publiziert, sondern wohl vernichtet] und Reissiger gewidmet. Die
Geschäfte seien abgemacht, ihm komme keine "Schläfrigkeit" zu. Nur noch die
übrigen LIeder und Klavierwerke ("Tanzweisen" und "Herbstblätter"), zudem
rückständige Manuskripte im Besitze von Schott und Schuberth, die er noch
überarbeiten wolle. Diese neuen Werke, die Unterstützung der Presse und seiner
Freunde und die Aufführung der Oper [König Alfred, WoO 14 werden zu einem
Erfolg für alle Beteiligten führen. Das wichtigste Bedürfnis war die Edition seiner
Lieder. Er habe die beiden Hefte, die Kistner zurückgeschickt habe, zurückbehalten.
Das erste gedruckte Heft op. 47 kam der Frau Erbgrossherzogin zu Gesicht, die sich
das nächste LIederheft widmen lassen wolle. Da op. 52 und op. 53 bereits Antonie von
Hopffgarten bzw. Emilie Genast gewidmet sind, habe er ein bereits exisitierendes Heft
mit Liedern von Geibel "bereinigt" (darunter seien das "Avemaria" und die
"Gondoliera") op. 51 und der Erbgrossherzogin, die gerade nach Den Haag verreist ist,
gewidmet. Will die Sammlung innert 8 Wochen als Geschenk bei ihrer Ankunft
überreichen. Die anderen fünf Lieder könne er im Laufe des Sommers edieren. Er komme
bald nach Leipzig. Die Romanze op. 41 habe er nachträglich Martha Sabinin gewidmet,
einer Tochter des hiesigen Probstes und talentvolle Schülerin von [Clara
Schumann.