Absender: Kaspar  Raff (C00699)
Erstellungsort: Owego
Empfänger: Joachim  Raff (C00695)
Datierung: April 1877 (Quelle)
Standort: Bayerische Staatsbibliothek (München)
Signatur: Raffiana VIII
Umfang: 8 Seiten
Material: Papier
Schreibmittel: schwarze Tinte
Incipit: Lieber Bruder Joachim!
Obwohl ich weiss, dass du immer sehr beschäftigt bist

schickt eine englische Zeitung ersten Ranges, die eine Kritik der Symphonie "Im Walde" op. 153 enthält, die ihn unter die grössten Meister älterer und neuerer Zeit stellt. Die Lage werde in Europa immer noch gedrückt sein. Bedaurt die vielen Kriege. Hofft, dass die Uneinigkeiten zwischen ihm und dem E. und den Schwestern untereinander ein Ende haben werden. Obwohl ihm der E. nie etwas geholfen, gegeben oder geschenkt habe, liebe er ihn und bitte um Verzeihung und versuche, seinen Pianoforte-Kompositionen Verschub zu leisten. So habe Lina, seine älteste Tochter, deren Fotografie der E. im letzten Winter erhalten habe, neben einer Kompositione von [Anton?] Rubinstein auch die Piece "de la Reine" op. 95 gespielt. Vor zwei Wochen spielten sie die Fantasie "Tannhäuser" op. 63. Habe 50 Schüler und verwende so viele Kompositionen des E.s wie möglich. Lobt diese. Bei einem Besuch in Amerika würde dem E. sicher viel Applaus zuteil. Die Zeiten seien im Moment jedoch schlecht. Wirtschaftliche Probleme. Könnte dem E. Tipps geben, wie er in Amerika grossen Erfolg haben könnte. In drei Monaten könnte er 20'000-25'000 $ verdienen. Wollte dem E. schon früher schreiben, da dieser aber böse auf ihn sei, besann er sich wieder. Aus diesem Grunde habe er diesen Brief auch am 30. April begonnen und erst jetzt am 12. Juli (seinem Geburtstag) beendet. Bittet um Verzeihung, wenn er ihn jemals beleidigt habe. Er sei auf gutem Fusse mit Jedermann hier mit Ausnahme von Julius Schuberth und ein MItglied aller wichtiger Gesellschaften Amerikas. Will Versöhnung nicht weil er Hilfe brauche, sondern weil er den E. wirklich liebe, achte und ehre und wegen seiner Kinder willen, die vor zwei Jahren ihre Mutter verloren haben. Bittet wenigstens um einige Zeilen der Aufmunterung an diese zu schicken. Er habe sechs Töchtern und einen Knaben. Selina, die älteste, wolle in ein Konservatorium Europas gehen. Könnte die Expensen bestreiten, wenn sie nicht allzu hohe. Habe noch drei weitere musikalische Zöglinge, die auch gerne in ein Konservatorium Deutschlands möchten. Da der E. nun Direktor des Frankfurter Conservatoriums sei, brauche er wohl gute Zöglinge. Bittet um Circulare hierüber, um sie über die Kosten informieren zu können und über Aufnahmebedingungen. Hätte auch für seine Schüler gerne ein Konservatorium, wo sie gut aufgehoben seien.


Zitiervorschlag: Raff, Kaspar: Brief an Joachim Raff (30. 4. 1877); https://portal.raff-archiv.ch/A01956, abgerufen am 6. 2 2025.