B. berichtet von erfolgreichen Soiréen in Basel mit Raffs Werken (G
dur Trio, op. 112; Suite E moll op. 72). Bülow gefallen Raff's Violinsonaten. Bedankt
sich nochmals für die Widmung "Eine feste Burg." Gebraucht auch Klavierwerke von
Raff für seinen Klavierunterricht in Basel. Kritisiert die Musik von Brahms: "das ist
für mich keine Musik". Berichtet von einer Reise nach Mühlhausen, wo er ein Konzert
von Joachim und Brahms besucht hat. Berichtet auch von einem Besuch von Jaell in
Basel und kritisiert weitere Kollegen.
Basel, 22 Nov. 1866.
31. Vorstadt St. Johann.
Verehrter freund!
Nicht aus Faulheit habe ich meine Danksagung für die Musiksendung und die Antwort auf Deinen letzten Brief verzögert; ich wollte den Ausgang meiner zweiten Soirée abwarten und Dir den Erfolg der Ausführung Deines schönen Gdur-Trio’s melden. Das kann ich erst heute – meine Frau war von Luzern herübergekommen und hat sich ebenfalls an dem Werke sehr erfreut. Wir studieren sehr sorgsam, das darf ich der Wahrheit gemäß zu unserem Lobe sagen. Meine Mitspieler sind tüchtige Leute, immer zum Probiren bereit – selbst nach der aufreibendsten Tagesarbeit.
In der dritten Soirée mache ich mir nun das Vergnügen Deine kleine Suite E moll Op. 72. einzuschieben.
Deine neuen Violinsonaten gefallen mir jede in ihrer Art. Die dritte behagt mir noch besser als die zweite und die vierte dürfte meiner Vorliebe für die erste Concurrenz machen. Wenn ich sie mir nur erst einmal ordentlich vorführen kann! Bargheer studirt jetzt an No 3, Abel an No 4.
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Die „feste Burg“-Ouverture ist mir weit sympathischer als die beiden andren Conzertouvertüren. Herzlichen Dank für die angethane Widmungs-Ehre. Warum aber so ein Souverän-Prachteinband? Dergleichen muß Dich ja ruiniren. „Chagrin“ ist sehr theuer. Soll ich noch malitiöser werden und über die „Grafenkrone“ witzeln? Ich habe nur auf sieben Punkte Anrecht.
Von Deinen neuen Clavierstücken gebe ich der Phantasie (Kistner) den Vorzug. Vergnügen haben mir übrigens alle gemacht, wenn auch in verschiedenem Grade. Manches kann ich trefflich gebrauchen für zwei hiesige alte Klaviermamsells, welche sich jetzt zu mir in die Lehre gegeben haben. Da sind die Études mélodiques ein gefundenes Fressen, Walzer und Boleros ditto. Es bleibt mir ein unauflösliches Räthsel wo Du die Zeit hernimmst, dergleichen in solcher Quantität immer so fein, originell, brillant und charmant zu machen. Saltarello hätte ich beinahe vergessen – das gefällt mir besser als die spanischen Fliegen. Die Männerquartette möchte ich gern einmal hören. Unser Violoncellist Kahnt dirigirt eine Liedertafel – vielleicht lassen sich die Gesänge da einmal probiren.
In meinem neulichen Briefe muß ich etwas zerstreut geschrieben haben; Deine Antwort läßt mich’s vermuthen. Ich bin nämlich gar nicht unzufrieden mit Basel und mit einer eventuellen Übersiedlung hierher immer noch einverstanden. Es ist nur überall in Deutschland (also auch hier) scheusslich: das Ewige von vorn anfangen-müßen, das lange Warten, Sich-Einbürgern u. s. w. Allmälig kommen jetzt die Leute mit Lections-gesuchen: warum nicht früher? Ich bin nun schon 9 Wochen hier. Übermorgen ist unsere erste Soirée in Mühlhausen – da wird’s viel animirter hergehen, als hier – wo man mit einem Soloklavierstück anfangen muß, damit die Leute beim Trio ein wenig „drin“ sind. Die Webersche Sonate habe ich nur Deines Trio’s wegen eingeflickt, das ich nicht an den Schluß placiren wollte.
Kiels Trio ist nicht übel und hat auch ganz gut gefallen. Weiss der Teufel – der Mensch ist mir viel sympathischer als Brahms, deßen sämmtliche Werke ich einmal eine Woche lang zu Hause gehabt und wirklich ohne Vorurtheil gründlich angesehen habe. Schlußeindruck: ich danke – das ist für mich keine Musik. Es verlangt mich nach Haydn. Übrigens Hochachtung und Anerkennung so viel als verlangt wird – aber à distance.
äNb. Brahms hat mich hier besucht. Allein getraute er sich’s nicht, er ließ sich von Walter begleiten. Er war zwei Stunden da und ich war so aimable als möglich. Schlußeindruck: ein herzloser, egoistisch-gemeiner, dabei sehr unerzogener Kerl, übrigens sehr gescheidt und gerieben (das Gleiche ist von seinem Klavierspiel zu sagen – er hat sehr viel los aber „schön ischt anners“ sagen die Exrepublikaner am Main. [ )]å
Und nun eine große Neuigkeit. Sonnabend 10. d. reiste ich zum Brahms-Joachim Conzert nach Mühlhausen und auf französischem Boden wurde das 10 Jahre lang unterbrochene Freundschaftsverhältniß zwischen J. und mir wieder angeknüpft. Consequenzen positiver Natur wird’s nicht geben: aber es ist mir ein Stein vom Herzen, wie auch ihm, so er Deiner Schwägerin versichert hat. Meinetwillen reiste Joachim noch einmal auf ein paar Stunden nach Basel zurück und nahm dann den Pariser Nachtschnellzug. äSeine Schweizerreise mit dem ziemlich unzweideutigen Geldmache-Zweck hatte zweifelsohne die Tendenz Brahms zu einigen Einnahmen zu verhelfen, was auch nach Wunsche gelungen ist (z. E. Nettoeinnahme in Mühlhausen 1300 frcs). Br. geht wieder nach seinem geliebten Wien, weil er nachdem er verdriessliche Musik componirt, fröhliche Judengesichter auf der Straße sehen will.å ◊1Sein Klavierquintett (ursprünglich Sonate für 2 Flügel, welche unter Tausigs Mitwirkung in Wien fiasco gemacht) erscheint mir unter seinen grösseren Arbeiten als die interessanteste.
äWas du über die Cliquenwirthschaft und den Brahmscultus sagst, ist leider sehr richtig. Hat hier in der Umgegend schon eine scheussliche Ausdehnung gewonnen: alle independenten Musiker haben darunter zu leiden. Ich könnte das exemplifiziren – doch wozu?å
Jaell war neulich ämit seiner übelriechenden jungen dicken Frau å hier und spielte ein bösartiges Clavierconzert von dem Dominikaner Ferdinand, gegen das ich übrigens noch toleranter mich verhielt, als z. B. Deine Frau Schwägerin. Was mir dieser Musikschuster odios ist! Neulich machte ich die Bekanntschaft von „zur Guitarre“. Eine Dame, Schülerin von mir legte mirs vor – dafür schwärmend, weil Hiller hier bei ihr „gewohnt“. Brahms äder nebenbei gesagt absolut nichts gelten läßt, was lebt ausser seinem Gott, sich selber,å entschuldigt Hillers Compositionen mit seiner so ungemein liebenswürdigen Persönlichkeit. Also gleiches Schicksal mit Franz Liszt. O welche Narrenwelt.
„Boa Constrictor“ geht übrigens abwärts. Schöner runder Aufschlag, brillante Technik obwohl hier und da etwas unsauber (namentlich durch unverständigen Pedalgebrauch – nun er ist auch etwas harthörig) – allein die infame Geschmacklosigkeit, mit der er z. E. Chopins Berceuse herunterleiert, ist beohrfeigenswürdig. Sein Faustwalzer, überhaupt was „sein“, ist übrigens unter allen Schreiberschen Hunden.
Doch warum auf „Collegen“ schimpfen und nb. Dich mit derlei Geschimpfe tractiren? Es nähme kein Ende. Ich könnte auch noch über die Volkmannsche Sinfonie räsonniren, die neulich hier fiasco gemacht, wobei ich mit dem Publikum merkwürdiger Weise gleicher Meinung war. äAber was ist Volkmann gegen den Pöbeljungen Abert? Hast Du Astorga angesehen? Die höhere Wasenmeisterei. Genug – genug. Ich habe auch noch eine Bitte auf dem Herzen: Ich laße jetzt den Marsch zum Cäsar ausschreiben – der Copist ist leider sehr träge. Möchtest Du Schotts gelegentlich bitten, den Stich so sehr zu pressiren als ihnen irgend möglich ist? Es liegt mir so viel dran, daß ich gern ein Geldopfer zur Beschleunigung bringen würde. Doch es ist eigentlich eine Sünde, Dir eine Minute zu rauben – obgleich – darüber einmal mündlich wegen dieses „Obgleich’s“. Einstweilen herzlichste Grüsse von den drei Baslern und vielen Dank für alle Zeichen der Theilnahme und der Erinnerung an Deinen treuergebenen
Basel, 22 Nov. 1866. Hans vBülow.å