Absender: Joachim  Raff (C00695)
Erstellungsort: [Wiesbaden]
Empfänger: Doris  Raff (C00693)
Zielort: [Weimar]
Datierung: Quelle undatiert
März 0 bis [undatiert] (Quelle)
März 1858 bis 2. April 1858 (ermittelt)
Standort: Bayerische Staatsbibliothek (München)
Signatur: Raffiana II
Umfang: 6 Seiten
Material: Papier
Schreibmittel: schwarze Tinte
Incipit: Mein liebes Herzensherz!
Es scheint, die guten Tage sind wieder alle

Habe nach der letzten Stunde den Baurath Boos ?] getroffen und diesen zum Kursaal begleitet, wo dieser den Baurat Götze sprechen wollte. Das ganze Terrain vom Theater bis zum Kursaal wie ein Acker umgegraben wurde. Hagen habe ihm bestätigt, dass sich Herr von Bose sehr für den "Samson" [WoO 20] interessiere, dass R. aber dafür eine Version für eine kleine Bühne einrichten müsse. Hagen kam nicht zur Aufführung von Raffs Quartett op. 90, da er das Tageblatt nicht gelesen habe und wanderte stattdessen nach Höchst. Ein Tenorist Arnold aus Danzig und ein Fräulein Lehmann aus Amsterdam sollen engagiert worden sein. Findet es nicht gut, dass v. Bose eine Sängerin auf eigenes Gutdünken hier engagiert. War nachmittags spazieren. Auf dem Spaziergang habe er sich einiges vorgebrummt, was dem Quartett in E-Dur förderlich sein könnte, welches bereits angefangen sei [evtl. erste Ideen für op. 136???]. Morgen Abend finde eine Sitzung der Musikcommission statt. Wahrscheinlich drehe es sich um die Solisten. 1.4.: Habe Frl. Musselius [?] nicht zuhause angetroffen. Das Quartett der Müller war verhältnismässig gut besucht, auch der Herzog und seine Frau kamen während des ersten Quartetts. Ihm zuliebe wurde "Gott erhalte Franz d. Kaiser" wiederholt. Die ersten beiden Quartette haben ihn wenig interessiert. "Dagegen hat mich das Schubert'sche [d-Moll-Quartett] d. h. vorzugsweise der Schlusssatz desselben mit grosser Demuth erfüllt, indem ich fühlte, wie ich allerdings noch den Moment abwarten müsse wo es mir gegönnt seyn würde, Aehnliches zu schaffen." Die ersten drei Sätze haben ihm nicht so sehr gefallen wie in der Aufführung in Weimar mit Joseph Joachim. Die hiesigen Quartettisten seien dabei gewesen und können von diesen lernen. Nach der Aufführung musste R. einen Musikantentisch bei Ott präsidieren, wo ihm der älteste Müller viel über die Meininger Verhältnisse (von Lilienkron und Bott). So gingen sie erst um 12 auseinander. Die Müllers haben jüngst auch in Mainz gespielt. Sie haben dem Verein, der von Lutz [?] dirigiert wird, ihr Repertoire und dieser wählte das cis-Moll-Quartett von Beethoven. Als sie dieses Werk dann spielen, finden die Mainzer abscheulich. Die guten Müllers seien nur Musikanten, daher wäre eine Unterhaltung mit ihnen auf die Länge entsetzlich. Sie haben R. weniger als Musiker, denn als Literaten wahrgenommen. Sie sind mit dem ersten Zug abgereist, da sie in Frankfurt spielen werden. Seine Hausfrau habe R. von Fleindhers [?] ausgerichtet, Frau Maus habe ihnen einen kläglichen Brief aus London geschrieben. Sie haben Heimweh nach Wiesbaden. Ihr Mann verdiene zwar viel, aber nicht genug. R. solle Fräulein Magdeburg veranlassen, ihrem Mann zu schreiben, der bleiben wolle. "Offenbar hat das Weib den Kopf verloren". Würde seine sechs Schülerinnen diesem auch wieder überlassen. Am Gegar'schen [nachschauen] Institut gebe Sirpal [?] die von R. nicht abgedeckten Stunden. 2.4.: Die Kinder am Institut sagen, sie haben keine Stunde. Schrieb an Frau Magdeburg, um zu fragen, wie lange die Ferien dauern. Die grössere Pause der Klavierstunden ist R. nicht gerade angenehm. Ist abgebrannt und konnte gestern nicht einmal sein Bier bei Ott bezahlen. War sehr froh, als heute Prätorius Mays [?] eintrat und ihm den Rückstand überbrachte. In der gestrigen Sitzung wurde nicht viel gefördert. Beschlüsse hinsichtlich der Beschaffung von Musikalien wurden getroffen. Habe sich dafür bereit gestellt, das Autograph für den Überdruck der Szene aus der "Zauberflöte" herzustellen. Verhandlungen mit Frau Bekey [?] und Tichatschek sollen unter der Hand stattfinden. Die Acquisition eines Bassisten wurde nicht in Angriff genommen. Formes [?] sei ein weiteres Jahr in Amerika engagiert. Hinsichtlich des Klavierkonzertes wurde von Bogler, Barth und Brück Frau [Clara] Schumann vorgeschlagen, während Hagen und Petri mit R. für Pruckner stimmten. Natürlich haben sie die Bedenken gegen Schumann auf eine milde Art geltend gemacht, da man gegen ihre Künstlerschaft an sich nicht viel einwenden könne. Bogler werde an Schumann, R. an Pruckner schreiben. Man wolle dann nehmen, wer am wenigsten Prätensionen habe. Das werde wohl Pruckner sein. Heute sei die Baukommission beisammen, berichtet davon. Gestern Abend sei Barths Besprechung des "Dornröschen"-Konzerts [WoO 19] erschienen. Wenn die E. sehe, wie er von "Christus" und vom 42. Psalm [beide wohl von Mendelssohn spricht, werde sie gestehen müssen, dass Barth guten Willen zeige. Fragt, was die E. zu Liszts Abenteuer in Wien sage. Der Spass koste 10'000 Gulden. Wenn es hoch komme, erhalte er dafür einen Titel oder einen Orden und ein bodenloses Fiasko. Barth habe R. versprochen, ihm die betreffenden Feuilletons aus den Wiener Blätter und der Allgemeinen Augsburger Zeitung zu leihen. Im Bericht über Halévys "La Magicienne" in der Pariser "Illustrations" stehe, dass es sich um die bekannte Melusine handle, ein jammervolles Ding, schöne Dekorationen und ein Ballett. Littolfs Success in Paris werde Liszt ausser Rand und Band bringen. Die Leute, die Liszt in ein Fiasko hetzen gönne er es, wenn sie sich die Pfoten verbrennen. Liszts Messe wurde vom Publikum doch beifällig aufgenommen. Die E. soll sich wegen des Quartetts op. 90 nicht beunruhigen. R. habe nachträglich von verschiedenen Leuten erfahren, dass ihnen das Werk gefallen habe. Grüsse an Eltern und Geschwister.


Zitiervorschlag: Raff, Joachim: Brief an Doris Raff ([31. 3. 1858]); https://portal.raff-archiv.ch/A01742, abgerufen am 12. 9 2024.