Absender: Joachim  Raff (C00695)
Erstellungsort: [Weimar]
Empfänger: Doris  Raff (C00693)
Datierung: Quelle undatiert
[undatiert] bis [undatiert] (Quelle)
9. Mai 1857 bis 11. Mai 1857 (ermittelt)
Standort: Bayerische Staatsbibliothek (München)
Signatur: Raffiana II
Umfang: 8 Seiten
Material: Papier
Schreibmittel: schwarze Tinte
Incipit: Mein süsses gutes Herz!
Ich habe heute dritthalb Act von Lassens Oper in der Hauptprobe angehört

Habe dritthalb Acte von Eduard] Lassens Oper [Landgraf Ludwigs Brautfahrt] in der Hauptprobe gesehen. Das Buch [von Ernst Pasqué] sei sehr mager. Es komme dem Buch von "König Alfred" [WoO 14], "so schlecht dieses auch ist", bei weitem nicht gleich. Die Musik habe R. sehr interessiert. Es fehle an grossen Melodien, aber habe mannigfaltige Feinheiten. Das Naturell sei entschieden französisch, enthalte aber auch deutsche Elemente. Die E. solle sich die ursprüngliche Anlage von [Fromental] Halévy denken, eklektisch sich darlegend, etwa wie die von [Otto] Nicolai, nur nobler denken. Das erste Talent, welches mich wieder anmuthet, obgleich es mich nicht zu erwärmen vermag. Die Stimmen ersticken im instrumentalen Anteil, der noch reichlicher und weniger architektonisch eingesetzt sei als in "König Alfred". Zeigt sich überzeugt von Casparis Romanze im ersten Akt, einem Andante Finale, im zweiten ein Andantesatz der Milde [Rosa von Milde] und ein charmanter Passus im Finale. Habe nur den halben dritten Akt gehört, der nichts von Belang enthalte. Auch die Ouvertüre enthalte sehr gute Sachen, R. sei aber mit der Form nicht einverstanden. Weber, Wagner, Mendelssohn scheinen Lassen die Wege gewiesen zu haben. Wünsche dem Stück den besten Erfolg, Stör werde anderer Meinung sein. Werde nun in die historische Vorstellung gehen. 10.5.: der letzte Abend hatte nur wenig Fesselndes. "Der todte Mann" von Hans Sachs. Die Frauen aus dem "Horribilicrifax" von Gryphius hätten komischer gewirkt, wenn sie besser gespielt worden wären. Franke in der Titelrolle und Keibel [?] als Magister wurden ihrer Sache nicht Herr. Die Szene aus "Dido" von Elias Schlegel, die wohl vor allem wegen der Don ausgewählt wurde. Nicht übel machte sich [Gotthold Ephraim] Lessings "Schatz". Sei danach gegangen, weil er zweifelte, dass ihn Goethes "Laune des Verliebten" amüsiert hätte. Dazu hatte R. eine Kleinigkeit von Gellert noch lebhaft genug im Geddächtnisse. Man behaupte, dass man sich bei der Darstellung "allerliebst" gemacht. 11.5.: Die E. bilde sich ein, R. zu Freundlichkeit gegenüber Eltern [Eduard Genast, Christiane Genast] und Schwestern ermuntern zu müssen. Mit Ausnahme von Hannchen [Johanna Genast] sei R. mit niemandem unfreundlich gewesen. Wolle wegen individueller Abneigung nicht unhöflich gegenüber eines Frauenzimmers sein. Ignoriere sie. Die E. könne sich über deren Aufenthalt in Wiesbaden völlig beruhigen. Den Eltern der E. gegenüber sei er gut, auch wenn er ihre Handlungsweisen oft nicht billigen könne. Den anderen Geschwistern hege R. eine brüderliche Sympathie. Findet das Benehmen der Darmstädter eklig. Sei mit der Partitur [Samson, WoO 20] in der ersten Szene des dritten Akts. Spielte mit dem Vater [Eduard] den ganzen zweiten Akt durch, Toni [Antonie Genast] und Mutter [Christine Genast], der ihnen grösstenteils viel Vergnügen zu machen schien. Emi [Emilie Genast] und Hannchen [Johanna Genast] bummelten. Wilhelm [Genast] machte eine Landparthie. Dr. Hamsten [?], ein Historiker, der die hiesigen Archive nutze, sass auch zu Tische. Ein Sohn des Buchhändlers Vogt sei gestorben, aber nicht Dickkopf. Mit der Fürstin Wittgenstein [Carolyne zu Sayn-Wittgenstein soll es sehr schlecht stehen. Die Ärzte sollen sie so gut wie aufgegeben haben. Die Prinzessin gehe wie ein Marterbild umher, Liszt sei sehr stille. Das Sujet von Lassens Oper sei jämmerlich und auch die Musik der beiden letzten Akte sei nicht so gut wie die der ersten beiden. Viele Leute entfernten sich nach dem dritten Akt. Das Werk habe einen Knappen Succes d'estime davongetragen. Wenn sich Lassen der Spieloper zuwenden werde, sei sich R. deren Erfolg sicher. Dieser halte grosse Stücke auf R. und dessen Urteil. Die Leute, die zum "Zukunftscortège zielen, äussern sich ungünstig über das Werk.


Zitiervorschlag: Raff, Joachim: Brief an Doris Raff ([9. 5. 1857]); https://portal.raff-archiv.ch/A01736, abgerufen am 12. 9 2024.