Absender: Joachim  Raff (C00695)
Erstellungsort: [Gotha]
Empfänger: Doris  Raff (C00693)
Zielort: [Weimar]
Datierung: Quelle undatiert
Standort: Bayerische Staatsbibliothek (München)
Signatur: Raffiana II
Umfang: 6 Seiten
Material: Papier
Schreibmittel: schwarze Tinte
Incipit: [ohne Anrede]
Ich bin einen Act in der Martha gewesen

Ra. sei in der "Martha" Flotow] gewesen, die hier nicht übel gegeben werde. Der Herzog sei nicht hier gewesen. Es scheine R. fast, dieser vermeide ihn. Andernseits werde er mit viel Zuvorkommenheit behandelt. Man habe sogar Raas [?] zugemutet, bei R.s Psalm [WoO 8] mitzusingen. Wangenheim [?] frage nach den Wünschen R.s. R. habe den Theaterplatz Nr. 1 der Fremdenloge. Lampert gehe den Musikern in anständigem Exempel voran. Doch der Herzog habe R.s Brief und seine gestrige Anmeldung unbeantwortet gelassen. 10. 4.: Hatte die erste Probe der Symphonie [WoO 18], die Ouvertüre [WoO 17] und die Psalmfuge. Lampert habe R. der Kapelle vorgestellt, R. hielt eine Ansprache. Der Saal klinge scheusslich. Das Orchester enthalte alle nötigen Kräfte, 11 seien aber aus dem Hautboistenchor und verstehen solche Musik nicht. Die Leute seien sich kurze Proben gewöhnt. Kopfsatz ging gut a vista, der zweite machte Umstände, der Marsch ging rasch, das Scherzo mühsam und die Schlussfuge stosse die Leute vor den Kopf. Die Ouvertüre zu Bernhard wurde recht passabel exekutiert. Die Musiker merken, dass sich die kontrapunktische Kunst an ein bekanntes Motiv anlehnt. Die Musiker fanden die Ouvertüre sehr schön. Die Psalmenfuge machte hingegen Schwierigkeiten. Lampert habe auch eine zeitlang mitgegeigt (bescheidener als Stör). Auch Wangenheim kam einen Augenblick herein, habe sich mit Lampert unterhalten. R. werde hier als "Weimarischer Zukunftsmusiker vollblütigster Abkunft im übelsten Sinn" angeschrieben. Äusserungen der Kapellmitglieder und die zaghafte Erwartung Lamperts beim Spielen des Kopfsatzes der Symphonie haben dies bestätigt. Daher sei alles so gut vorbereitet. Man erwarte hier ein Fiasco und wolle sich danach die Hände in Unschuld waschen könne. Die Morgenprobe scheint trotz Mängel einige Vorurteile zerstreut zu haben. Lampert und Wangenheim waren danach heiterer. Wangenheim habe bei Tische gesagt, dass einige Hofleute der Nachmittagsprobe beiwohnen wollen, auch der Herzog, wenn es seine Geschäfte erlauben. Tatsächlich kamen Hofleute. Lampert sei bei Wangenheim und Oberhofmarschall von Löwenfels gesessen. Zuerst wurde der Psalm geprobt. Der Chor sei zu schwach und Raar [?] könne sich gegen die Massen in der Schlussfuge nicht behaupten. R. will das Stück mal von 200 Sängern hören. Löwenfels soll der Psalm sehr gefallen haben. Die Damen haben das Duett ziemlich korrekt gesungen. Frau Stotz liege der 2. Sopran zu tief. Die Ramond kam besser durch. Dann nahm er den "Spielmann" [wohl Bearbeitung von op. 98, Nr. 18] vor, den Lampert reizend bearbeitet findet. R. habe sich selbst gewundert wie niedlich dieses "fade Ding unter seinen Liedern" geworden sei. Killener [? singe die Geschichte ganz nett. Danach habe er noch Ausschnitte aus den ersten beiden Sätzen der Symphonie geprobt. Morgen Symphonie und Ouvertüre. Lauchert habe er geschrieben und auch an seiner Partitur weitergeschrieben. Sieht dem kommenden Tag nicht ohne Besorgnis entgegen. 11.4.: Der Brief der E. habe ihn erfreut. Zitat: "Verdi’s Foscari! Man muss von dem Manne, welcher wie sich die Altenburg ausdrückt, «die Spitze» (sollte heissen decadenz) «der italiänischen musikalischen Entwicklung repräsentirt» nichts anderes erwarten. Der Lump Cornelius hat sich unterstehen können, das nichtswürdige Product im Voraus mit jenen Worten zu vertheidigennund dergleichen Menschen machen Anspruch auf das ehrende Prädicat «deutscher Künstler». Wie tief sinken wir!! – Wenn Liszt u. die Fürstin nunmehr Verachtung für jenes Verdische Produkt heucheln, so geschieht es hauptsächlich, weil ich in den «Signalen» geschrieben: «Es sollte uns nach dem und dem» (ist dort angeführt) «nicht wundern, nächstens auch Herrn Verdi seinen Einzug hierselbst (in Weimar nämlich) halten zu sehen. Zu diesem Zwecke haben Luther und Bach hier vorgearbeitet. Wir Deutschen können viel – doch nicht Alles ertragen.» Das wird dem Gesindel deutlich genug geworden seyn, und sie werden gemerkt haben, dass ich entschlossen bin, einen ordentlichen Kehraus mit ihnen zu tanzen. Wenn indes Verdi die Impresa der italiänischen Oper in Paris u. London nicht bekommt, und damit Liszt auch keine Aussicht mehr hat durch Verdi einmal seinen «Sardanapal» in London oder Paris anzubringen, so wird Verdi auch von seiner intimen Freundin der Fürstin (die in Paris mit ihm Freundschaft geschlossen hat) u. von dem Hofgänger dieser Holden, Herrn Liszt, nicht mehr protegirt werden. Daher pfeift der Wind in der Handlungsweise dieser Elenden." Wenn Liszt ihm aufrichtige Freundschaftsbeweise hätte geben wollen, hätte er 6 1/2 Jahre Zeit dafür gehabt. Zur Ostermesse kämen seine Symphonischen Dichtungen und R. habe es in der Hand, "ihn als Componisten in den Augen eines jeden deutschen Künstlers zu ruiniren." Beklagt sich, dass in Weimar wenig für ihn getan wird, auch vom Grossherzog. Für den Herzog hier habe er nur einen Aufsatz geschrieben und dieser disponiere ihm sein Haus und seine Kräfte, ohne eine Note von der Musik R.s gehört zu haben. Im Gegenteil, sogar mit dem Vorurteil, dass er nichts an R.s Musik finden werde, weil er die Weimarer Musik von Wagner, Berlioz und Schumann nicht möge. Hofft, dass Liszt und Singer nicht kommen werden. Versteht nicht, warum die E. an seinem Klavier üben wolle, es sei ein Komponisten-Klavier. Es sei schlecht, aber gut für das Komponieren, da man sich so keine Klangillusionen mache, die für das Orchester schädlich sind, wie man an Liszts Kompositionen schlagende Beispiele habe. Es sei nicht R.s Schuld, dass er dem Kopisten nicht mehr schicken könne. Werde nun den Brief auf die Post bringen, dann frühstücken. Hatte am Morgen Besuch vom Hofmarschall v. Löwenfels, der ihn um 5 Uhr zum Herzog zu Tische geladen habe. Von den Veränderungen in den verschiedenen Hofstellen könne man nun offen sprechen. Grüsse an Eltern, Geschwister und Soupper. Eben kaum Lauchert und habe sich bei ihm umgezogen.


Zitiervorschlag: Raff, Joachim: Brief an Doris Raff (9. 4. 1857); https://portal.raff-archiv.ch/A01723, abgerufen am 12. 9 2024.