4. 1. 1855
Brief an Doris Raff
ID: A01616
Absender: | Joachim
Raff (C00695)
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Erstellungsort: | [Weimar] |
Empfänger: | Doris
Raff (C00693)
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Datierung: | Quelle undatiert [undatiert] bis [undatiert] (Quelle) 4. Januar 1855 bis 7. Januar 1855 (ermittelt) |
Standort: | Bayerische Staatsbibliothek (München) |
Signatur: | Raffiana II |
Umfang: | 10 Seiten |
Material: | Papier |
Schreibmittel: | schwarze Tinte |
Incipit: | [ohne Anrede] Abermals Quälereien wegen meiner Musik! |
DIe Eltern machen R. das Leben sauer. Sie stellen sich hinter Marr, dieser hinter Stör und so müsse er stets zu diesem laufen. Habe oft gegen das forte am Schluss des Stückes WoO 17] protestiert. Der Vater habe R. sehr dazu gedrängt, einen Schluss nach seinen Vorstellungen zu schreiben. Nun habe R. doch recht gehabt und sich unnütz gequält. Auch die Bühnenmusik habe er nach dessen Angaben gemacht. Graus hätte damit vertraut gemacht werden müssen, was nicht geschah, und so klappte nichts mehr zu Graus Dialog. Dann wurde gestrichen. Marr setzte keine Pause zwischen dem dritten und vierten Akt. So erklingt ein Bruchstück des Marsches noch bevor der Marsch selbst erklingt. Habe sich nun vollständig von der Unzuverlässigkeit des Vaters in Kunstsachen überzeugt. Habe ein Stück Marsch gestrichen und nun wolle der Vater auch Kürzungen in der Ouvertüre. Stör weigere sich, einen Takt aus der Ouvertüre zu streichen. So habe der Vater verlangt, dass man den Choral schneller spiele. R. habe Mittel, sich zu wehren, wenn er allzu sehr malträtiert werde. Überlegt sich, abzudrucken, dass er seine Musik gar nicht spielen lasse. 5.1.: Wilhelm habe R. besucht. Nun mache man die Musik wieder an den Platze, wo er sie zuallererst angegeben. Wilhelm habe auch gegen die Kürzung der Ouvertüre protestiert. R. verstehe mehr von Poesie als Wilhelm von Musik. Konzertprogramme werden gerade gedruckt. Das erste enthält Wagners Ouvertüre zu "Faust", Raffs "Liebesfee" op. 67, Liszts Konzert in Es [Klavierkonzert Nr. 2] und die Eroica von Beethoven. Die Musiker werden so vernünftig sein, die "Liebesfee" recht einzuspielen. Die Bernhardmusik mache ihnen grosse Freude. Bülows Ouvertüre sei schliesslich doch vom Programm genommen worden. Auch ein Hornkonzert von Stör wurde gestrichen. Die "Liebesfee" habe diesen in seiner Qualität als Violinkomponist etwas aufgerüttelt. Habe eine Violinstimme von einem Konzertboleros von Stör gesehen, die schöne Stellen enthalten. Apel habe beim Hofamt eine Klage gegen Liszt eingereicht, weil dieser seinem Kompositionstalent zu wenig Aufmerksamkeit schenke. Wolle morgen den Klavierauszug der "Liebesfee" fertig machen und dann an seiner Suite [wohl WoO 18] weiterarbeiten. Morgen stehe eine Unterredung mit Liszt an. Sei im Reinen mit Montag, Emilie und Jacobi und hoffe auch mit Beaulieu fertig zu werden. 6.1.: Habe endlich seine Stunden bei Mandelsloh [?] wieder angefangen. Sie und Singer seien also R.s ganze Jüngerschaft. In der Rezension in der Weimarschen Zeitung über Wilhelms Stück, die wohl von Sauppe oder Schöll geschrieben wurde, komme dieser gut weg. Am meisten getadelt werde Marr. Raff habe seine Rache ausgeführt. Das Tageblatt bringe ein ausführliches Programm der BErnhardouvertüre. Habe Stör befohlen, nirgends eine Note zu streichen. Wettet, dass die Ouvertüre einen grösseren Beifall haben werde. War bei Liszt und sei bei diesem auf keinen Widerstand gestossen. Wolle im April ein grosses Konzert geben mit seiner Suite für Orchester in fünf Sätzen [WoO 18], Gesangssachen für die Schwester der E. und entweder die Sonate op. 73, ein Trio [WoO 9] oder ein Konzertstück op. 67 und den 121. Psalm [WoO 8]. Müsse das meiste dafür noch schreiben. Werde das Unmögliche schaffen. Habe von LIszt verlangt, keine anderen Unternehmungen auf besagtem Zeitpunkt zu veranlassen. Jacobi werde Beaulieu vorbereiten. Montag habe ihm keine Mitwirkung zugesagt. Die Kapelle bekomme er umsonst. Will Werke für auswärts schreiben und der erste Erfolg müsse anständig gesichert sein. Das könnte Kosten aufwerfen, die er selbst nicht bestreiten könne. Doch für seine künstlerische Existenz sei es eine Lebensfrage. Vieweg habe ihm eine Rezension über die "Wagnerfrage" in Gersdorfs Repertorium [Repertorium für deutsche und ausländische Literatur 49 1855 S. 39-40], die blödsinnig sei, jedoch nicht boshaft und im Ganzen auch nicht nachteilig sei. Vieweg sei so freundlich, ihm die Spalten der "Deutschen Reichszeitung" zu öffnen, um gegen seine Feinde zu schreiben. 7.1.: Ging früh zu Wilhelm, dann zu den Deinigen, um Hänschen zu gratulieren. Dann auf die Altenburg, dann nachhause und findet den Brief der E. Die E. werde ihm vor, er habe kein Herz für die "Deinen". Sei ihnen von Herzen zugetan, detestiere aber dies und jenes, was ihnen nun einmal anhaftet. Sei es nötig, die Fehler der Menschen zu lieben? Habe gestern keinen Fuss ins Haus gesetzt, um neue Unbehaglichkeiten zu vermeiden. Habe all seinen Verdruss mit Wilhelms Stück bereits wieder vergessen und denke nur noch daran, wie man ihm auswärts Erfolg bereiten könne. Will seine Musik ein für alle Male cessieren. Die E. hätte sich daher ihre Strafpredigt schenken können. Dass die Mutter seine Musik lobe, mag ihr hingehen, sie habe aber wenig davon gehört und verstanden. Die Ouvertüre habe einen besseren und längeren Beifall erhalten als beim ersten Mal, obwohl Marr wieder während den letzten Akkorden aufziehen liess. Vater musste es sich wieder gefallen lassen, zu warten, bis das Publikum fertig applaudiert habe. Die Ausführung durch das Orchester war dieses Mal nicht so gut, die Schuld trage Störs unruhige Direktion. Das Orchester hätte lieber unter R. gespielt, da Stör wieder schaal angesehen werde. Liszt scheine geglaubt zu haben, dass R. seinen Beifall erwarte. Liszt sei nach dem ersten Akt zu ihm gekommen und habe eine lange Reihe von Elogen aufgesagt, die R. allenfalls entbehlich finde. Wolle das Publikum lieber unterrichten als sich mit ihm zu überwerfen. Habe seinen Verdruss mit auf die Stube genommen und jedes harte Wort vermieden. Rank habe eine längere Rezension über das Stück im Sonntagsblatt losgelassen, R. erhalte einen wohlwollenden Hieb wegen der Länge seiner Schauspielmusik ab. Werde sich nicht beeilen, zum "Herzog von Athen" eine Musik zu schreiben. Lammer werde in den Sächs. Constitutionalen etwas schreiben. Von [Richard] Pohl sei in der Brendel'schen [Neue Zeitschrift für Musik] etwas gegen Gesamtkunst. Dieser war gestern lange bei R. Bei Liszt ziemlich zahlreichen Conventikel. Erblickte dort das umfangreiche Buch von Marx. Zuerst wurden drei Cellostücke von Rubinstein gespielt, die wenig ansprachen. Dann enthusmiasmierte Liszt die Gesellschaft durch den Vortrag der Variationen R., die er hübsch einstudiert habe. Rubinstein habe bei Emi geäussert, er wisse nicht, ob ihm die Musik zu Bernhard gefalle. Doch R. sei ein Meister der Instrumentation. Will nun zu den Deinigen und den Brief der E. an Hänschen überreichen. 6 Uhr: Bei den Deinigen waren Wilhelm, Auguste, Hoffmann und Koberstein. Es sei eine gewisse Entfernung zwischen R. und letzterem eingetreten, die durch R.s Verhältnisse zu Hoffmann nicht gemindert wurden. Wilhelm und Auguste mussten zum Geburtstage zu Thonk [?]. Die Rezension in der Weimarer Zeitung stamme von Mangoldt selbst und es liege am Tage, dass ein offener Bruch zwischen diesem und Marr engetreten sei. Von Hofe aus (Grossfürstin Soyer) sei bedeutet worden, dass Marr den Richelieu würdiger geben solle. [Joseph Rank rühme indessen Marrs Darstellung. Dieser denke an den "Herzog von Athen". Die Geschichte mit Charlotte Ackermann würde R. erheitern, wenn nicht wieder die E. der leidende Teil gewesen wäre. Emi scheine sich sehr für ihren Anteil am Konzert R.s zu interessieren. Die Kunde nehme ihren Lauf. Es würde R. wundern, wenn Pohl nicht bald nach Leipzig schriebe. "Im Uebrigen ist mein musicalischer Credit bei der ganzen Clique doch sehr tief gewurzelt. Selbst Ritter will trotz der "Wagnerfrage" Stunden bei R. nehmen. Will zu den Deinigen. Schreibe morgen ein paar Artikelchen für Wilhelm. Hänschen habe Pulver für die E. besorgt, Tonis Zahnschmerzen seien wieder besser.