Habe nur fünf Seiten am "Faust" Faust-Symphonie von Liszt] geschrieben. Musste gestern um halb elf noch Musik in
Partitur setzen, da Marr, bzw. der Vater auf unklare Angaben von Marr verlangt
habe. Musste sich am morgen früh mit Stör und dem Kopisten abplagen. Dann
Komission für Hänschen und Emi, die morgen nach Kösen fahren wollen. Besuchte die
"Deinigen" nach dem Essen und fand Spuren neuer Insinuationen in Ansehung der
Bernhardmusik [WoO 17], ging zu Wilhelm [Genast], der mit Indolenz dagegen
protestierte und dann mit Indolenz spazieren ging. Ging danach zu Stör, der ihm
mitteilte, dass Marr so ziemlich die ganze Musik anders verlange. Ging zu den
Deinigen, sprach aber nur die Mutter, da der Vater die entschiedenste
Gleichgültigkeit an den Tag legte. Schrieb dann zuhause 3 grosse Quartseiten an
Beaulieu, der krank liege, um ihn zu bitten, die Musik nicht aufführen zu lassen.
Dieser liess R. vor und bat ihn, mit der vollkommensten Selbstverleugnung zu
verkehren. Dann wieder bei den Deinigen. Mutter in Groll gegen R., der Vater in
Stumpfsinn und Apathie. Zuhause, Brief an Stör, änderte an der Partitur, dann ins
Theater, wo er Brief und Partitur Stör übergab, mit der Bitte, dass dieser den
Brief auch Marr gebe. Hörte dann den letzten Akt von "Joseph". Der Tag habe R.
gelernt, nie Musik für jemanden zu schreiben, der nichts von Musik versteht, und
mit Menschen zu traitiren, denen die Convenienz über Alles geht, wie deinen
Eltern. Will morgen nach der Probe zu Stör. Wolle nicht mehr mit jemandem, der
Genast heisst, darüber reden. Dann werde er entweder am Montag seinen Protest
gegen die Aufführung abdrucken lassen oder unmittelbar nach der Aufführung.
31.12.: Habe sich den ganzen Tag eingesperrt und niemanden gesehen, ausser bei
Tische, sei daher auch ohne Kunde über die Bernhardprobe. War auch nicht bei den
Deinigen. Habe den ganzen Tag am Liszt'schen Faust gearbeitet und werde ihn morgen
fertig liefern. Seine Zeit sei sehr knapp. Winterberger sei zurück aus Berlin,
[Oskar] Schade erwarten sie noch immer, sei ohne Zweifel bei der Baronin.
Rubinstein sei seit gestern wieder hier, wolle hier eine Symphonie vollenden, die
nach Petersburg soll. Als R. ihm mitteilte, dass er in acht Wochen auch eine
Symphonie [WoO 18] fertig habe, zog dieser ein schiefes Gesicht. "Jude bleibt
Jude." Die Brendel'sche Zeitung [Neue Zeitschrift für Musik] erscheine im
folgenden Jahr nicht mehr bei [...], sondern bei Kahnt, das werde dem Blatt wohl
nur nützen. [Richard] Pohl, der gestern zurückkam, habe ihm die Neujahrsnummer
gebracht. Sie enthalte Liszts Artikel über "Rheingold" [Wagner] und eine Rezension
von Emanuel Klitzsch über R.s op. 58 [Zwei Fantasie-Stücke für Klavier und
Violine. Der Rezensent sei sehr wohl für R. intentioniert, meint aber, dass
die Stücke reflectirt seien, womit er recht habe. "Sie fallen in die Zeit meiner
letzten Sturm und Drangperiode, und sind daher nicht aus einem Gusse." Dass sich
Rudolstadt nicht gemeldet hat, teile R. mit, dass das Misstrauen der E. begründet
gewesen sei. Will nun noch eine Stunde am Faust weiterarbeiten und um halb neun auf
die Altenburg. Es sei auch Gesellschaft bei Marrs. Ihm fehle die Zeit für einen
Jahresrückbilck. Sei nicht unzufrieden mit seiner Arbeit, doch müsse er im Jahr 1855
mehr für sich arbeiten. Einige äussere Umstände seien besser als im Vorjahre. Bedankt
sich bei der E., der er so vieles schuldig sei.