Absender: Joachim  Raff (C00695)
Erstellungsort: [Weimar]
Empfänger: Doris  Raff (C00693)
Datierung: Quelle undatiert
Dezember 0 bis Dezember 0 (Quelle)
Dezember 1854 bis Dezember 1854 (ermittelt)
Standort: Bayerische Staatsbibliothek (München)
Signatur: Raffiana II
Umfang: 4 Seiten
Material: Papier
Schreibmittel: schwarze Tinte
Incipit: Liebes Herzensmädchen!
Ich schreibe dir erst jetzt; aber es ist gut so.

Habe nur fünf Seiten am "Faust" Faust-Symphonie von Liszt] geschrieben. Musste gestern um halb elf noch Musik in Partitur setzen, da Marr, bzw. der Vater auf unklare Angaben von Marr verlangt habe. Musste sich am morgen früh mit Stör und dem Kopisten abplagen. Dann Komission für Hänschen und Emi, die morgen nach Kösen fahren wollen. Besuchte die "Deinigen" nach dem Essen und fand Spuren neuer Insinuationen in Ansehung der Bernhardmusik [WoO 17], ging zu Wilhelm [Genast], der mit Indolenz dagegen protestierte und dann mit Indolenz spazieren ging. Ging danach zu Stör, der ihm mitteilte, dass Marr so ziemlich die ganze Musik anders verlange. Ging zu den Deinigen, sprach aber nur die Mutter, da der Vater die entschiedenste Gleichgültigkeit an den Tag legte. Schrieb dann zuhause 3 grosse Quartseiten an Beaulieu, der krank liege, um ihn zu bitten, die Musik nicht aufführen zu lassen. Dieser liess R. vor und bat ihn, mit der vollkommensten Selbstverleugnung zu verkehren. Dann wieder bei den Deinigen. Mutter in Groll gegen R., der Vater in Stumpfsinn und Apathie. Zuhause, Brief an Stör, änderte an der Partitur, dann ins Theater, wo er Brief und Partitur Stör übergab, mit der Bitte, dass dieser den Brief auch Marr gebe. Hörte dann den letzten Akt von "Joseph". Der Tag habe R. gelernt, nie Musik für jemanden zu schreiben, der nichts von Musik versteht, und mit Menschen zu traitiren, denen die Convenienz über Alles geht, wie deinen Eltern. Will morgen nach der Probe zu Stör. Wolle nicht mehr mit jemandem, der Genast heisst, darüber reden. Dann werde er entweder am Montag seinen Protest gegen die Aufführung abdrucken lassen oder unmittelbar nach der Aufführung. 31.12.: Habe sich den ganzen Tag eingesperrt und niemanden gesehen, ausser bei Tische, sei daher auch ohne Kunde über die Bernhardprobe. War auch nicht bei den Deinigen. Habe den ganzen Tag am Liszt'schen Faust gearbeitet und werde ihn morgen fertig liefern. Seine Zeit sei sehr knapp. Winterberger sei zurück aus Berlin, [Oskar] Schade erwarten sie noch immer, sei ohne Zweifel bei der Baronin. Rubinstein sei seit gestern wieder hier, wolle hier eine Symphonie vollenden, die nach Petersburg soll. Als R. ihm mitteilte, dass er in acht Wochen auch eine Symphonie [WoO 18] fertig habe, zog dieser ein schiefes Gesicht. "Jude bleibt Jude." Die Brendel'sche Zeitung [Neue Zeitschrift für Musik] erscheine im folgenden Jahr nicht mehr bei [...], sondern bei Kahnt, das werde dem Blatt wohl nur nützen. [Richard] Pohl, der gestern zurückkam, habe ihm die Neujahrsnummer gebracht. Sie enthalte Liszts Artikel über "Rheingold" [Wagner] und eine Rezension von Emanuel Klitzsch über R.s op. 58 [Zwei Fantasie-Stücke für Klavier und Violine. Der Rezensent sei sehr wohl für R. intentioniert, meint aber, dass die Stücke reflectirt seien, womit er recht habe. "Sie fallen in die Zeit meiner letzten Sturm und Drangperiode, und sind daher nicht aus einem Gusse." Dass sich Rudolstadt nicht gemeldet hat, teile R. mit, dass das Misstrauen der E. begründet gewesen sei. Will nun noch eine Stunde am Faust weiterarbeiten und um halb neun auf die Altenburg. Es sei auch Gesellschaft bei Marrs. Ihm fehle die Zeit für einen Jahresrückbilck. Sei nicht unzufrieden mit seiner Arbeit, doch müsse er im Jahr 1855 mehr für sich arbeiten. Einige äussere Umstände seien besser als im Vorjahre. Bedankt sich bei der E., der er so vieles schuldig sei.


Zitiervorschlag: Raff, Joachim: Brief an Doris Raff ([30. 12. 1854]); https://portal.raff-archiv.ch/A01614, abgerufen am 14. 9 2024.