Absender: Martin  Roeder (C00755)
Erstellungsort: Mailand
Empfänger: Joachim  Raff (C00695)
Datierung: 22. Juni 1874 (Quelle)
Standort: Bayerische Staatsbibliothek (München)
Signatur: Raffiana I, Roeder, Martin, Nr. 2
Umfang: 2 Seiten
Material: Papier
Schreibmittel: schwarze Tinte
Incipit: Hochgeehrter Meister!
Verzeihen Sie dass ich Ihnen erst heute einen

Habe vor zwei Jahren einen längeren Artikel pber die «Waldsymphonie» für die Gazzetta musicale geschrieben. Dieser habe zur Folge gehabt, dass das Werk in der Società del quartetto aufgeführt worden sei. Plane dasselbe Experiment zur Lenoren-Symphonie, die er in Berlin gehört habe. Bittet den E. um Ausführungen über die Grundidee des Werks. Möchte dann eine eingehende Analyse über das Werk schreiben.

Milano d. 22. Juni 1874. Via ai boschetti No 6. Io piano.

Hochgeehrter Meister!

Verzeihen Sie daß ich Ihnen erst heute meine Ihnen z. Z. versprochenen Nachrichten zukommen lasse, allein erstens wollte ich nicht mit Ihrer kostbaren Zeit Mißbrauch treiben um meine langen Epistolen zu lesen, – ferner war wirklich nichts von großer Bedeutung vorgefallen, worüber ich Ihnen hätte schreiben können. Heute thue ich dies nun also, Sie gleichzeitig um eine Bitte, die Sie mir hoffentlich nicht abschlagen werden, angehend. Wie Sie wissen, schrieb ich vor 2 Jahren, als die «Waldsinfonie» erschien, einen längeren Artikel in die hiesige Gazzetta musicale, deren beständiger Mitarbeiter ich schon seit längerer Zeit bin. Es freute mich auch sehr, daß dieser eingehende Aufsatz indirect zur Folge hatte, daß Ihre prächtige Sinfonie alsbald hier in der Società del quartetto zur Aufführung gelangte. Nun habe ich ein gleiches Experiment mit Ihrer jüngsten «Leonorensinfonie» – welche bei meiner jüngsten Anwesenheit in Berlin auf mich einen der bedeutendsten Eindrücke, die ich je in meinem Leben gehabt, machte – vor, und da ich, betreffs der einzelnen Ideen die ich mir von dem Ganzen gemacht, nicht recht im Reinen mit mir bin, (besonders in den beiden ersten Sätzen nicht) – so würde ich Sie herzlich darum bitten, mir in kurzen Strichen die Grundidee des Ganzen zu zeichnen, damit ich dieselben mit meinen Anschauungen vergleichen, resp. letztere danach verbessern kann. Hoffentlich thun Sie mir diesen großen Gefallen, und werde mich dann sogleich an’s Werk machen eine eingehende Analyse über dieses hochbedeutende Werk zu schreiben, Ihnen dieselbe natürlich dann zukommen lassend. – Verzeihen Sie mir meine Bitte, und erfüllen Sie mir selbe zu gleicher Zeit, ich hoffe Sie dürften nicht unzufrieden mit meinem Resultat sein.

Indem ich Sie herzlichst grüße, auf baldmöglichste Antwort wartend

zeichne

mit vorzüglicher Hochachtung und Verehrung

Ihr

Martino Roeder


Zitiervorschlag: Roeder, Martin: Brief an Joachim Raff (22. 6. 1874); https://portal.raff-archiv.ch/A01168, abgerufen am 8. 9 2024.