22. 1. 1873
Brief an Joachim Raff
ID: A01082
Absender: | August
Klughardt (C00471)
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Erstellungsort: | Weimar |
Empfänger: | Joachim
Raff (C00695)
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Datierung: | 22. Januar 1873 (Quelle) |
Standort: | Bayerische Staatsbibliothek (München) |
Sammlung: | Raffiana I, Klughardt, August, Nr. 3 |
Umfang: | 3 Seiten |
Material: | Papier |
Schreibmittel: | schwarze Tinte |
Incipit: | Verehrter Meister! In einigen Tagen werden Partitur u. Stimmen meiner Symphonie an Sie gelangen |
Kündigt Übersendung der Partitur und Stimmen seiner ersten Symphonie an den E. an. Bittet um Fürsprache für eine Aufführung in Wiesbaden. Berichtet, dass seine «Lenore» eine erste beifällige Vorführung erhalten habe. Berichtet vom Schmerz, den ihm das «unglückliche Zusammentreffen von uns bei diesem Stoff» bereite. Habe dem E. an einem Nachmittag seine erste Symphonie bei Frau Merian vorgespielt und erwähnt, dass er an einer Symphonischen Dichtung nach Bürgers Lenore arbeite. Wäre zurückgetreten, wenn der E. erwähnt hätte, dass er dasselbe vorhabe. Weder Liszt, noch Lassen, noch Frau Merian hätten ihn bei der ersten Probe darauf aufmerksam gemacht, dass der E. ein gleichbenanntes Werk erscheinen lassen wolle. Habe kürzlich mit Lassen, der die Symphonie des E.s kenne, darüber gesprochen. Möchte vom «falschen Verdachte» loskommen und das Thema mit dem E. von Angesicht zu Angesicht besprechen.
Weimar, d. 22. Jan. 1873.
Verehrter Meister!
In einigen Tagen werden Partitur u. Stimmen meiner Symphonie an Sie gelangen, u. zwar von Dessau her. Ich ersuche Sie inständigst, mir Ihre einflußreiche Fürsprache in Betreff einer Aufführung in Wiesbaden versprochenermaßen angedeihen lassen zu wollen. Zugleich bitte ich, die Zeit der Aufführung mich wissen zu lassen, damit ich mir die Freude bereiten kann selbst zugegen zu sein.
Im 3ten Concert der Hofkapelle erlebte meine «Lenore» die erste beifällige Vorführung. – Lieber Meister, es ist mir über das unglückliche Zusammentreffen von uns bei diesem Stoff Manches kund geworden, was mir sehr nahe geht u. mich schmerzt. Abgesehen davon, daß anzunehmen ist, auf meiner Seite befinde sich der Nachtheil, wenn sich’s um Verbreitung des Werkes handelt, ist mir das Eine sehr peinlich: daß Sie haben glauben können, ich habe’s Ihnen «nachmachen» oder mit Vorwissen eine Concurrenz eingehen wollen. Erinnern Sie sich des Nachmittags, als ich Ihnen meine erste Symphonie bei Frau Merian vorspielte! Im Laufe des Gesprächs erwähnte ich, daß ich an einer symphonischen Dichtung nach Bürger’s Lenore arbeitete, u. Sie stimmten mir bei bezüglich der Dankbarkeit dieses Stoffs. Hätten Sie mich merken lassen, daß auch Sie dasselbe vorhaben, ich wäre zurückgetreten! Bei der ersten Probe, welcher Lißt beiwohnte, hat auch niemand (weder Lißt, noch Lassen, noch Frau Merian) eine geringste Äußerung gethan, daß Sie ebenfalls jetzt ein gleichbenanntes Werk erscheinen lassen würden. Erst neulich fand ich Gelegenheit, mit Lassen ausführlicher über diesen Punkt zu sprechen. Er kennt Ihre Symphonie u. sprach eingehender über die Vortrefflichkeit derselben. Zugleich erfuhr ich aber auch die Verschiedenheit in der ganzen Anlage des Stoffs von meiner Composition. Weit entfernt davon, die meinige als ein vollendetes Meisterwerk hinstellen zu wollen, kann ich mich indessen nicht entschließen, auf die Vorführung derselben zu verzichten. Gründe hierzu brauche ich Ihnen, der Sie des Componisten ganzes Reich der Freuden u. Leiden kennen, nicht anzuführen. Es drängte mich, Ihnen gegenüber mich offen auszusprechen: – hoffentlich komme ich so von dem falschen Verdachte los. Ich freue mich auf die Stunde, die mir Gelegenheit giebt von Angesicht zu Angesicht mit Ihnen mich zu bereden, u. wünsche, daß diese nicht allzu fern sei.
Auf baldiges Wiedersehen in Wiesbaden!
Mit bestem Gruße
Ihr ergebener
August Klughardt.