Absender: Joachim  Raff (C00695)
Erstellungsort: Stuttgart
Empfänger: Julius  Kistner (C00460)
Verlag Kistner (D00020)
Zielort: Leipzig
Datierung: Oktober 1848 (Quelle)
Standort: Bayerische Staatsbibliothek (München)
Umfang: 4 Seiten
Material: Papier
Schreibmittel: [Kopie]
Incipit: Verehrter Herr!
Ich weiss nicht, wie lange es her ist, seitdem ich

Habe keine Antwort auf seinen langen Brief. Es habe sich inzwischen viel verändert. Der E. publiziere trotz "miserablen Zeiten" viel. Bedankt sich für die Sendung des Capriciettos op. 40. Habe das Stück mit Beifall am vorigen Sonntag gespielt. Man könnte es hier absetzen, wenn die Zeiten nicht so schlecht wären. Beklagt sich über den Geschmack der Stuttgarter. Komponiere fleissig, sei aber zur Einsicht gekommen, dass er davon nicht leben könne. Gebe Unterricht, bis die Zeiten wieder besser sind. Habe 11 Schüler aus den ersten Familien: von Thun, von [...], Wölkern, von König, von Linden, Miss Stiff, Hartmann, Baug, [...] und [...]. Wäre wieder in die Schweiz gegangen, wenn er nicht auf diese Weise überleben könnte. Dort habe man ihm die Musiklehrerstelle auf dem Schlossinstitute zu Lenzburg angeboten. Ein "merkwürdiges Unglück" sei ihm passiert, da er kein Englisch könne. Julius Benedict habe an seinen Bruder Sigmund in Stuttgart geschrieben, dass man ihm die Musikdirektorstelle in Southampton sicherlich geben würde. Hätte sofort antreten müssen, so wurde nichts aus der Sache. Benedict verspreche aber, alles für ihn zu tun, um eine Stelle dort für ihn zu finden. Studiere das Englische nun Hals über Kopf. Bittet darum, seine Sendungen an Reissiger in Dresden zu vermitteln. Im mitkommenden Paket befinden sich die ersten beiden Akte von "König Alfred" [WoO 14] in Partitur und Klavierauszug. Sie werde noch diesen Winter in Szene gehen können. Bittet um Vorschuss der Portokosten, die er erstatten werde. Schickt Manuskripte: Trio [WoO 9], 3 Hefte Lieder und ein Walzer, die auch einem Altmeister zur Ehre gereichen würden. Überlasse Höhe des Honorars und Zeitpunkt der Bezahlung dem E. Fragt, ob es eine Möglichkeit gäbe, in Leipzig Kompositionen von ihm aufzuführen, vielleicht seinen Psalm [WoO 8]. Auch das Trio und die leicht zu singenden Lieder dürften manchen die Augen öffnen. Erwartet den grössten Erfolg von der Oper und "einigen Streichquartetts", deren erstes "concipirt und theilweise schon ausgeführt" ist [WoO 13]. Dies möge den E. verwundern, allein man lerne die "Reinheit des Stÿls u. den Hergang der Form" am besten mit Quartetten. Kleine Klavierstücke habe er "herzlich satt", ebenso Arrangements. Es täte ihm leid, wenn durch die Verzögerung der Potpourris op. 42 dem E. Schaden zuteil geworden sei. Müsse sich aber eingestehen, dass von keiner anderen Oper bessere Arrangements existieren als vom "Prätendenten". Reissiger werde die Partitur wieder über Kistners Vermittlung an Raff zukommen lassen. Beiliegende Briefe an Bülow und Senff sollen den Empfängern zugestellt werden. Nachschrift: Höre, der Prätendent [Kücken] sei in Mannheim gegeben worden. Wenn das Werk dort gefiel, würde er an Sattel [?] wegen Arrangements schreiben.


Zitiervorschlag: Raff, Joachim: Brief an Julius Kistner (31. 10. 1848); https://portal.raff-archiv.ch/A00347, abgerufen am 12. 9 2024.